on on on
Rund 150 leidenschaft­liche Brotbäcker/innen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum kamen zusammen, um über die Zukunft des Brotes zu diskutieren.
©
Aus- & Weiterbildung

Kulturgut mit großem Marktpotenzial

Volles Haus, anregende Referate und Diskussionen sowie – natürlich – bestes Brot: Das 4. „Weinheimer Brotforum“ in der Bundesakademie des deutschen Bäckerhandwerks war erneut ein voller Erfolg.

240 Anmeldungen für 150 Plätze – das „Weinheimer Brotforum“ hat sich innerhalb weniger Jahre zu einem der „Hotspots“ für die Beschäftigung mit der Ware bzw. dem Kulturgut Brot entwickelt. ADB-Direktor Bernd Kütscher eröffnete die diesjährige Ausgabe mit der Präsentation aktueller Zahlen und Statistiken zur Entwicklung des deutschen Brotmarktes. Neben den schon gewohnten Rückgängen bei Menge (gesamt: –2,4%, Bäcker: –4,3%) und in gerigerem Umfang bei der Wertschöpfung macht mit Blick auf die 2019er-Werte vor allem die stark gesunkene Käuferreichweite sorgen. Als mögliche Gründe nannte Kütscher die Verlagerung des Geschäfts in den Kleingebäckmarkt und die zunehmende Zahl selbst backender Verbraucher.
Klare Worte
Dr. Gerhard Bossel­mann von der Land­bäckerei Bosselmann (Hannover) fand deutliche Worte für die Heraus­forderungen, vor denen die Branche steht. Seine Botschaft: Das Geschäft wird gastro-, erlebnis- und kapitalintensiver, die Luft dünner und wer als Bäckerei einen „Gemischtwarenladen“ ohne Profil bleibt, für den wird es in Zukunft sehr schwer. In seinen Ausführungen ging Bosselmann auf die verschiedenen Betriebs­typen und Standorte ein und gab individuelle Empfehlungen. Kernpunkte dabei sind die konsequente Sortimentsbereinigung, eine offensive Preispolitik und ein systematisches Category Management bis auf die Mitarbeiterebene („Brotumsatz benötigt Brotcontrolling!“). Unverzichtbar sei es, dass der Bäcker „für sein Brot brennt“. Hier könne man sich die Spezialisten zum Vorbild nehmen, deren Konzepte als „unvergleichbar, schnell, trennscharf, authentisch und rohertragsstark“ charakterisiert werden können.
„Überzeugungstäter“ berichten
Im zweiten Block der ausgebuchten Veranstaltung begrüßte Moderator Prof. Michael Kleinert vom ZHAW in Wädenswil (Schweiz) den Mediziner Dr. Björn Hollensteiner (Haltern am See), der als Arzt praktiziert, sich aber auch in der Hobbybäcker-Szene als „der Brotdoc“ einen guten Namen gemacht hat. Er stellte die riesige Community leidenschaftlicher „Bread Heads“ im Netz mit den wichtigsten Akteuren vor, erläuterte, wie der Austausch über Blogs, Brotbackforen, Soziale Medien und Informationsseiten abläuft, und welche „Spielregeln“ dabei gelten. Hollensteiner lud die Brotprofis ein, sich dort einzubringen und damit Transparenz und Know-how zu beweisen. Dipl.-Ing. Thomas Lepold (Oberursel) zeigte die überzeugenden Einsatzmöglichkeiten von Leguminosen wie z. B. Ackerbohnen bei der Brotherstellung auf: Dazu zählt neben der Verbesserung der Frischhaltung vor allem die Steigerung des Protein- und Ballaststoffgehalts. Seine mit Ackerbohnenmehl hergestellten Brote konnten während der Kommunikationspausen des „Brotforums“ ebenso verkostet werden wie die Spitzenerzeugnisse weiterer Referenten und Teilnehmer. Karl de Smedt von Puratos brachte den Tagungsgästen mit seiner sympathischen Art die Welt der Sauerteige und seine Sauerteig-Bibliothek im belgischen St. Vith (126 Sauerteige aus 23 Ländern) näher. Seine Forschung zielt u. a. auf den Gesundheitsaspekt von Brot (Verträglichkeit) ab. Die Teilnehmer rief er auf, ihre individuellen (Roggen-)Sauerteige als Welterbe registrieren zu lassen (Details dazu sind unter www.questforsourdough.com zu finden).
„Typisch weiblich“ oder einfach gut?
„Ist die Zukunft des Brotes weiblich?“: Diese Leitfrage eröffnete eine Talkrunde mit vier Unternehmerinnen, die ihre jeweils sehr individuelle Perspektive schilderten. Die Runde eröffnete Christa Lutum (Berlin), die in der Lebensmitte ihre Anteile an einer erfolgreichen Filialbäckerei verkauft hat und mit einer kleinen Bio-Bäckerei nochmals durchgestartet ist. Sie stellte u.a. das unterschiedliche Kaufverhalten von Männern und Frauen dar. Marie Simon (Löhne), Juniorchefin und auch durch Fernsehauftritte bekannt, erläuterte, wie sie die Familienbäckerei für die Zukunft aufstellen will. Seiteneinsteigerin Ava Celik (Berlin) hat aus gesundheitlichen Gründen (Zöliakie) angefangen, ihr eigenes Brot zu backen und betreibt mit „Aera Bread“ inzwischen eine vielbeachtete glutenfreie Bäckerei. Ergänzt wurde die Talkrunde um Sophie Hinkel (Düsseldorf), welche die berühmte Bäckerei ihres Vaters Josef Hinkel weiterführen wird. Sucht man nach übergreifenden Motiven, so sind die Bedeutung einer intensiven internen und externen Kommunikation, flachere Hierarchien (mit „Fehlerkultur“), nachhaltige Unternehmensführung und das Schaffen einer ausgeglichenen Work-Life-Balance hervorzuheben.
Benchmarking mit dem „Weltbäcker“
Zum Abschluss des 4. „Weinheimer Brotforums“ stellte Prof. Michael Kleinert gemeinsam mit Jochen Baier aus Herrenberg („Weltbäcker des Jahres“ 2018 der UIBC) die Umsetzung der Themen Individualität, Regionalität, Qualität, Transparenz, Kommunikation und Nachhaltigkeit in der Bäckerei Baier vor. Kleinert warnte mit Blick auf den Brotmarkt der Zukunft vor „Öko-Romantizismus“ und leeren „Buzzwords“: Nachhaltigkeit und Qualität dürften keine Floskeln bleiben, vielmehr müssten Prozesse und Produkte den Bäckereikunden nachvollziehbar und vor allem verständlich nahe gebracht werden („mehr erzählen über das, was wir tun“). Eine kreative Ansprache und ein gutes Storytelling schließt das nach Ansicht von Kleinert keineswegs aus: „Fermentieren ist in, und wir Bäcker sind die Könige des Fermentierens. Warum nennen wir den Gärschrank nicht ‚Aromakammer‘?“
Direktor Bernd Kütscher bedankte sich abschließend bei allen Referenten, den Tagungsgästen und bei seinem Team für die enorme Leistung im Hintergrund. Das Kulturgut Brot und sein Marktpotenzial werden auch im kommenden Jahr beim 5. „Weinheimer Brotforum“ am 2. März 2021 im Mittelpunkt stehen – traditionell eingeleitet mit einem Vorabendtreff bei Brot und Wein.

Brotinstitut

Marktplatz Digital

Das könnte Sie auch interessieren