WEIZENVORTEIGE IN DER BÄCKEREIPRAXIS
Noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren Hefevorteige in Deutschland weit verbreitet. Damals war insbesondere das „Sparargument“ von Bedeutung, weil der Einsatz von Weizenvorteigen eine geringere Backhefe-Dosierung möglich macht. Danach wurden Weizenbrote und -kleingebäcke überwiegend in direkten, zeitsparenden Führungen hergestellt. Aber mit mediterranen Spezialitäten wie Baguette oder Ciabatta haben die dabei üblichen, langen und indirekten Führungen auch in deutschen Backstuben wieder Einzug gehalten. Dabei wurde erkannt, dass Weizenvorteige nicht nur unter geschmacklichen Aspekten „punkten“ können. Es spricht vor allem auch aus rheologischen Gründen eine Menge für Weizenvorteige, auch wenn nicht gesäuert wird: Sie haben eine Reihe teigrheologischer Vorteile und bringen verbesserte Krumen-, Kau- und Frischhalteeigenschaften.
Erzeugnisse wie Baguette, Ciabatta, Fladenbrote und ähnliche Weizengebäcke mit gewünscht-grober Krumenstruktur sind ohne solche Hefevorteige in arttypischer Qualität kaum herstellbar. Anteile von 30% des Gesamtmehles sind in diesen Vorteigen als Minimum anzusehen. Über 60% des Mehls im Vorteig zu verarbeiten, bringt dann meistens keine weiteren positiven Einflüsse.Sehr lange Führungen mit wenig Backhefe, dafür aber sehr langen Endgärzeiten, sind Weizenvorteigen teigrheologisch ähnlich.
TEIGRHEOLOGISCHES KNOW-HOW
Das Arbeiten mit Weizenvorteigen erfordert Know-how, um zu wissen, was man wie steuern kann:
- Teigeigenschaften: Eine Erhöhung des Mehlanteils im Vorteig führt zu eher wolligen oder Teigen mit gutem Stand, eine Verringerung zu mehr Geschmeidigkeit. Bei den Reifetemperaturen tendieren höhere in Richtung wollig, niedrigere in Richtung geschmeidig, was auch mit längeren Reifezeiten zu erreichen ist.
- Teigreifung: Sie kann beschleunigt werden durch Erhöhung des Mehl- und/oder Backhefeanteils im Vorteig sowie eine Erhöhung der Vortemperaturen.
- Brotausbeute: Hier spielen Backhefemenge, Mehlanteil, Reifetemperatur und -zeit eine Rolle. Ein Mehr, Höher bzw. Länger reduziert die Brotausbeute.
- Volumenausbeute: Diese ist in erster Linie von der Mehlqualität abhängig. Bei hochwertigen Weizenmehlen mit höheren Proteinmengen bzw. -qualitäten können höhere Backhefe-Dosierung, längere Reifezeiten und höhere Führungstemperaturen des Vorteigs die Volumenausbeute weiter begünstigen.
- Frischhaltung: Eine weichere Krume kann durch Mehle mit erhöhtem Backpotenzial und höheren Backhefemengen im Vorteig bei mittleren Reifezeiten erzielt werden.
- Krustenrösche: Eine Verbesserung entsteht eher indirekt: einmal durch die von den Vorteigen bewirkte Verringerung der Teigausbeute, zum anderen durch die schwächere Bräunung und die daraus meist folgende längere Backzeit.
Krumeneigenschaften: Einen Überblick über die Einflüsse verschiedener Kriterien bei Vorteigen im Hinblick auf die Krumeneigenschaften gibt die Tabelle:
AROMA-KICK FÜRS KLEINGEBÄCK
In einem aktuellen Webinar „Brötchen – da steckt Handwerk drin" im März 2024 auf dem IREKS-eCampus wurde live gezeigt, welche Möglichkeiten in der „Magie der Fermentation“ fürs Aroma stecken. Unter dem Motto „Brötchenziel 2024: Die besten Brötchen der Straße, der Stadt oder des Landes zu backen“ wurden Ergebnisse aus der Kulmbacher Versuchsbäckerei präsentiert: mit Führungsalternativen, Rezepturen und „Aroma-Spinnen“ für Weizenvorteige als „Poolish 4.0“ – differenziert nach Basis-, Aroma-, Malzextrakt- und Craft-Poolish. Außerdem wurde das Autolyseverfahren als Sonderform der Teigführung mit französischen Wurzeln vorgestellt und Potenziale von „Lievito Madre“ für die handwerkliche Brötchenherstellung aufgezeigt.
Hintergründe, Verarbeitungstipps, Aromaprofile und beispielhafte Rezepturen sind in einer Broschüre zusammengefasst, die es hier zum Download gibt.
Quellen: Lernfeld Vorteige (Hg. GMF), Webinar „Brötchen“ (IREKS-eCampus).
REZEPTIDEEN
Hier findet sich ein Anwendungsvideo zur Käse-Schinken-Seele.
Bild- und Quellennachweise: HeikeRau/Getty Images, Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Berlin-Brandenburg, Akademie Deutsches Bäckerhandwerk NRW, BÄKO-ZENTRALE/Akademie Deutsches Bäckerhandwerk Weinheim.