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Messen

Die „Ährenrettung“ des Weizens

Beim Bäcker-Trend-Forum räumt Prof. Dr. Friedrich Longin von der Universität Hochheim mit gängigen Vorurteilen über Weizen und Gluten auf.

Auf der Südback gibt es neben dem Messebetrieb an den Ständen auch ein spannendes Rahmenprogramm mit wissenschaftlichen Vorträgen und Denkanregungen von Experten aus der Backbranche. Beim Bäcker- und beim Konditoren-Trend-Forum treffen geballte Backkompetenz auf wissenschaftliches Know-How. So hat Siegfried Brenneis, der Kapitän der deutschen Bäckernationalmannschaft, sein neues Buch „Gesundheitsbewusst backen“ vorgestellt. Den Superfood-Trend greift Urs Meichtry im Konditoren-Trend-Forum auf. Bernd Kütscher gab in seinem Vortrag „Digitalisierung als Chance für Bäckereien“ Denkanstöße für die digitale Zukunft. 7
„Ährenrettung" für den Weizen
Wissenschaftlich ging es beim leicht provokativ formuliertem Vortrag „Macht Weizen krank?“ von Prof. Dr. Friedrich Longin zu. Der Weizenexperte leitet die Arbeitsgruppe Weizen an der Landessaatzuchtanstalt der Universität Hohenheim. Der Weizen und insbesondere Gluten stehen seit geraumer Zeit stark in der Kritik – glutenfrei liegt im Trend. Verschiedene Bücher behaupten Weizen mache dick, dumm und würde uns sogar mit Opiaten vergiften. Prof. Dr. Longin ist da anderer Meinung. Er präsentiert die neuesten Forschungsergebnisse und setzt sich für die „Ährenrettung des Weizen“ ein – übrigens auch auf dem BÄKO-Workshop in Berlin.
Wissenschaft räumt mit Vorurteilen auf
Gluten ist ein Speicherprotein im Weizen, das in allen Weizenarten vorkommt: Einkorn, Emmer, Dinkel, Durum, Karmut und so weiter. Glutenproteine gibt es auch in anderen Getreidearten wie Roggen (Secaline), der Gerste (Hordeine) oder auch im Hafer (Avenine).
Fakt ist, dass es drei anerkannte Weizenkrankheiten gibt. Die Zöliakie, die Weizenallergie und die wenig erforschte Sensivität. Die Zöliakie greift den Darm an, die Immunreaktion kann Wochen bis Jahre andauern. Betroffen davon sind unter 1% der Bevölkerung. Eine erfolgreiche Therapie kann nur durch eine glutenfreie Ernährung gewährleistet werden. Die Weizenallergie tritt sofort nach dem Essen von Weizen oder beim Sport auf, etwas weniger als 2% sind betroffen. Heilung verspricht eine weizenfreie Ernährung. Die Forschungslage zur Weizensensivität ist noch diffus, die Auslöser können nicht zweifelsfrei bestimmt werden. Auch die Diagnose ist schwer zu stellen, Therapieansätze ebenso schwer zu vermitteln. Die Forschung geht von weniger als 1% Betroffenen aus. Der Anteil der Personen, die sich glutenfrei ernähren wollen, ist aber viel höher. So wollen in Kanada über 30% auf Gluten verzichten, in den USA über 25%, in Australien und den Niederlanden sind es etwa 15%. Zahlen, die nicht mit den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Weizenkrankheiten zusammenpassen. Ist der schlechte Ruf des Weizen daran schuld? Gängige Vorurteile über modernen Weizen sind, dass dieser gentechnisch verändert sei, mehr giftiges Gluten und ATI sowie FODMAPs enthalte, Opiate enthalte und schlechter als alte Weizensorten sei.
Modern ist nicht gleich schlecht
Mit diesen Missverständnissen räumt Prof. Dr. Longin eindeutig auf: im kommerziellen Anbau gibt es keine einzige gentechnisch veränderte Weizensorte. Die Opiate, die im Weizen enthalten sind, werden vom Körper zersetzt, bevor diese die Rezeptoren erreichen. Untersuchungen haben ergeben, dass moderne Weizensorten nicht mehr Gluten, ATI und FODMAPs als alte enthalten, durchschnittlich enthalten sie sogar weniger. Studien haben ergeben, dass längere Gährzeiten den Gehalt von FODMAPs im Weizengebäck fast vollständig reduzieren. Der ATI-Gehalt sei abhängig von Sorte und Anbauort. ATIs stehen allerdings im Verdacht, Krankheiten wie Morbus-Crohn zu verschlimmern. Im Bezug auf ATI ist noch weitere Forschung nötig, um gesicherte Aussagen zu treffen. Weizen macht auch nicht dick: Der Anteil an übergewichtigen Personen ist in den Ländern mit dem größten Weizenkonsum (Kasachstan, Tunesien, Marokko) deutlich geringer als in Ländern in denen wenig Weizen konsumiert wird. Ein Verzicht auf Weizen und somit auf Gluten ist für den Bäcker schwer. Schließlich sorgen die einzigartigen Eigenschaften des Gluten laut Prof. Dr. Longin erst für saftige und lockere Gebäcke.

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