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ZV-Vizepräsident Wolfgang Schäfer ist zu Hause in der hessischen Gemeinde Rodgau. (Foto: BÄKO-magazin)
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Branche aktuell

„Renaissance des klassischen Bäckerhandwerks“

Hessens Landesinnungsmeister Wolfgang Schäfer leitet gemeinsam mit Sohn Sascha und den Ehefrauen die Familienbäckerei in Rodgau, ist gleichzeitig Vizepräsident des Zentralverbands und Aufsichtsratsvorsitzender der BÄKO-ZENTRALE. Somit ist er gegenwärtig auf vielen Ebenen gefragt – und kann die gegenwärtige Situation aus entsprechend umfassender Perspektive schildern.

Wie trifft Sie als Unternehmer die aktuelle Lage?
Zum Glück haben wir im ganzen Unternehmen mit sieben Verkaufsstellen und rund 100 Mitarbeitern – Stand heute – keinen Corona-Infizierten. Allerdings waren zwei inzwischen negativ Getestete zeitweilig in Hausquarantäne. Das erforderte besonderte Maßnahmen, z.B. haben wir die Mutter der einen Person, die auch in Vollzeit bei uns arbeitet, zeitweise auf unsere Kosten in einer Pension untergebracht, denn sonst hätten wir ja gleich zwei Mitarbeiter zeitweilig ersetzen müssen.
Welche konkreten Maßnahmen haben Sie ergriffen?
Wir haben klare Regeln aufgestellt, die jede/r Mitarbeiter/in unterzeichnen musste. Jede unserer Filiale wird als selbstständige Betriebsstätte geführt und es dürfen weder Waren noch Mitarbeiter zwischen den Filialen ausgetauscht werden; Ausfälle werden von dem jeweiligen Team aufgefangen. Auch unsere Fahrer und die Lieferanten wie etwa die BÄKO betreten die Filialen und Produktionsräume nicht mehr: Wir haben für sie draußen beheizte Pavillons aufgestellt und die Übergabepunkte befinden sich nun vor der Ladentür. Schon eine Woche vor dem offiziellen Kontaktverbot in Hessen haben wir freiwillig unsere beiden größeren Cafés zum Schutz der Kunden und Mitarbeiter auf Null gefahren und für diejenigen Mitarbeiterinnen, die ausschließlich dort tätig waren, Kurzarbeit beantragt. Gleichwohl haben wir betriebsübergreifend das Ziel, niemandem zu kündigen, weder Personen in der Probezeit noch Mitarbeitern in befristeten Arbeitsverhältnissen.
Welche Auswirkungen sehen Sie für die Sortimentsgestaltung?
Das Snackgeschäft ist bis auf ca. 15% zurückgefahren und C-Artikel, die vor allem der Sortimentsabrundung dienen, sind auf bis zu 25% reduziert, um die Produktion zu entlasten, während das klassische Bäckersortiment mit Brot und Backwaren verstärkt wird. Vor allem in unseren vier Läden mit regionaler, ländlicher Nah- und Grundversorgungsfunktion ist der Umsatz dabei stabil bis leicht steigend. Zum Glück haben wir auch in jeder Filiale die Möglichkeit zum bargeldlosen Bezahlen, denn das wird von den Kunden sehr gut angenommen. Diese benehmen sich übrigens bemerkenswert diszipliniert: Keiner meckert, keiner drängelt – es herrscht Entschleunigung.
Wie wirkt sich die Krise auf die Handwerksbäcker in Hessen aus?
Hier muss man stark nach Standorten differenzieren: Geschäfte in Innenstadtlage und cafélastige Filialen haben Einbußen von 50 bis 70%, ähnlich ist es in Einkaufszentren. Die in der Expansion der vergangenen Jahre etwas vernachlässigten klassischen Bäckereiläden sind hingegen ganz stark, und damit halten sich viele kleine und mittlere Unternehmen über Wasser. Die Akzeptanz der Verbraucher ist hoch und könnte durchaus in eine Renaissance des klassischen Bäckerhandwerks als Nahversorger münden.
Wie können die Innungen bzw. Innungsverbände ihre Mitglieder stärken?
Jeder Backbetrieb erhält Tag für Tag eine Fülle von Newslettern: von der Bank, vom Steuerberater, von der Kreishandwerkerschaft, von der Handwerkskammer, von der Innung usw. Sie haben alle ihre Berechtigung, aber der Bäcker, der vor allem seinen Laden am Laufen halten muss, ist mit der Komplexität der Inhalte, mit der Selektion dessen, was für ihn wichtig sein kann, schnell überfordert. Deshalb haben wir uns im Kreis der Landesinnungsmeister der ADB Südwest darauf verständigt, dass die Bäckerverbände ihre Newsletter einstellen – außer bei dringlichen speziellen Themen – und ab sofort den Mitgliedern individuelle telefonische Beratung anbieten, um sie zu entlasten. Die Termine werden zentral koordiniert und es findet dann ein Rückruf statt, bei dem konkret und unbürokratisch Tipps und Hilfestellung vermittelt werden, z.B. bei der Antragstellung. Ich denke, das ist aktuell die wertvollste Hilfe für unsere Mitglieder, um gemeinsam Lösungspakete zu erarbeiten.
Wie beobachten Sie die Lage aus Sicht der BÄKO-Genossenschaften?
Wichtig ist, dass die Versorgung gewährleistet und die Rohstoffkette bisher nicht unterbrochen ist, wenn auch mal ein Container aus Asien zeitweilig in den Häfen festhängt. Die Einbußen der Bäcker bei Snacks, Kaffee und Gastronomie, also auch im Frischesegment, spiegeln sich natürlich auch bei den BÄKOs wider, ebenso zum Teil die Knappheit an Hygieneprodukten. Die Regionalgenossenschaften machen hier aber einen wirklich tollen Job.

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