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Urgetreide und „Superfoods“ sind in aller Munde. Wie Ernährungstrends das Außer-Haus-Markt-Geschäft in der Backbranche verändern, war deshalb Thema eines Runden Tischs von BÄKO-magazin und Hamburg Messe und Congress (HMC) zur Internorga 2018.
© Brenneis: Durch das Medieninteresse, Blogs und Anfragen wird die Branche sensibler. Deshalb ist der Bäcker von heute aufgeklärter und versucht darauf zu reagieren, indem er gewisse Zutaten nicht mehr nutzt und in Richtung „Clean Label“ geht. Steins: Perspektivwechsel: Wenn ich als Kunde in ein Bäckereigeschäft gehe, sehe ich häufig Defizite in Kennzeichnung, Präsentation und optischer Umsetzung. Es ist z.B. schwierig, auf den ersten Blick zu erkennen, was vegetarisch ist. Wie viel Nachholbedarf gibt es in der Umsetzung? von der Heide: Ein Großteil unserer Produkte ist vegetarisch/vegan, das haben wir auch in den Prospekten oder online stehen. Aber wenn im Laden überall steht „vegan/vegetarisch“, das wird doch alles ein bisschen viel, überfordert den Kunden. Er soll ja auch nachfragen, um mit der Verkäuferin ins Gespräch zu kommen. Das ist gewünscht, damit wir ggf. etwas anderes empfehlen können, was noch viel besser zu ihm passt. zu Münster: Vielleicht ist es ja auch zu viel geworden: Vorher lautete die Reihenfolge Dinkel, Roggen usw., heute geht das nicht mehr, weil so viele Kategorien dazugekommen sind: mit Backhefe oder ohne, mit/ohne Backferment, mit/ohne Sauerteig, Vollkorn/Nichtvollkorn. Es gibt so viele Unterkategorien, die für den Kunden interessant sein könnten, dass es schwierig wird, Struktur in die Kennzeichnung hineinzubekommen. Steins: Der Bäcker hat nun also ein neues Brot entwickelt, das auch im Snackbereich Anwendung finden soll, unter Einbeziehung eines Urgetreides oder Superfoods. Welches Know-how wird benötigt, um es dann auch in der Backstube „in Serie“ umzusetzen? Und wie vermarkte ich das Ganze dann? von der Heide: Wenn wir einen neuen Rohstoff einbeziehen, müssen wir austesten, ausprobieren, und wenn dann das Produkt fertig kreiert ist, stricken wir das ganze Storytelling darum herum. Das ist das A und O, das muss der Kunde auch mitkriegen. Wenn das Produkt nur so daliegt, weiß er doch nicht, warum es jetzt 50 Cent teurer ist. Das kauft er doch ohne das Wissen so nicht! Steins: Wie vermittelt man das? Arbeiten Sie mit Agenturen in dem Bereich? Brenneis: Wir haben ein Hauptgeschäft und zwei Filialen und machen das noch selbstständig mit Hinweisen und Begleitzetteln. Wenn wir ein Produkt entwickeln, wähle ich die Zutaten zunächst nach der Saison aus. Im Winter also z.B. eher Nüsse, Mandeln und Gewürze. Dann beachte ich, welche Produkte schon im Sortiment sind, damit es keine Überschneidungen gibt. Wenn wir schon zu viel haben, muss ein Produkt „rausfliegen“ – egal, ob Kunde oder Verkäuferin todunglücklich sind. Aber auch das muss man richtig kommunizieren: „Das gibt es nicht mehr, weil der Bäcker das nicht mehr backen will“ wäre jedenfalls eine schlechte Idee. Wenn das neue Produkt kommt, sind Produktproben, Beschreibung der Inhaltsstoffe, Begleitzettel oder kostenlose Give-aways empfehlenswert. Zudem finde ich eine Jahreszeitenbäckerei nicht schlecht, mit wiederkehrenden Saisonbroten, die man regional anbietet und dann nach einiger Zeit wieder herausnimmt. Es muss aber vorher abgeklärt sein, wann es den „Zwiebelkuchen“ nicht mehr gibt, um Retouren zu vermeiden. Für Freigebackenes oder Kastenbrot brauchen wir entsprechende Rohstoffe. Einkornbrot kann ich z.B. nicht freibacken: Hier muss man sein ganzes Bäcker-Know-how mitbringen, damit das auch etwas wird. Wenn ich ein Kastenbrot habe, kann ich den Teig ganz weich halten. Drei, vier Backversuche muss man schon machen, bis man das Optimum findet. Wichtig ist auch, dass das Produkt sofort richtig kalkuliert wird, um damit auch Geld verdienen zu können – schlecht kalkulierte Produkte haben wir schließlich genug. Gerade in Sachen Urgetreide gleich richtig kalkulieren! Entweder es funktioniert mit dem richtigen Preis oder es funktioniert nicht. Und da können wir als Handwerksbäcker doch viel einfacher und schneller das Produkt wieder vom Markt nehmen. Es macht keinen Sinn, ein Produkt zu führen, bei dem man bei jeder Teigbereitung Geld drauflegt. Steins: Diese besagten „50 Cent mehr“ muss man kommunizieren. Wie macht man das am besten? Brenneis: Das sollte man transparent aufzeigen. Seitdem ich mich mit Urgetreide beschäftige, habe ich auch mein Verhalten geändert. Ich versuche das Ganze nachhaltiger zu betrachten, beschäftige mich seitdem auch mehr mit den Landwirten. Wer freiwillig Einkorn anbaut statt hochgezüchteten Weizen, dem muss man im Vorfeld schon sagen: „Wenn Du das für mich machst, bekommst Du den Preis, den Du dafür brauchst.“ Nicht den Preis im Vordergrund halten, sondern ein wenig mehr „Fairtrade“ denken, damit jeder etwas davon hat. Dann muss man dem Verbraucher kommunizieren, was das Risiko für den Landwirt ist, wenn er für Umwelteinflüsse sensibleres Urgetreide anbaut. Deswegen braucht der Landwirt seinen Preis, damit er es überhaupt anbauen kann. Das respektieren die Kunden auch und wertschätzen es. Steins: Es läuft alles darauf hinaus, ein Premiumprodukt bzw. -konzept zu entwickeln, das auch entsprechend vermarktet werden möchte. Aber wie funktioniert denn in dem Bereich überhaupt gutes Storytelling? von der Heide: Das fängt direkt auf dem Feld an. Man kann da ein Schild hinstellen mit dem Bäcker, wie er beim Einsäen hilft, oder: „Hier wächst Ihr Einkorn für das Produkt X der Bäckerei soundso!“ zu Münster: Das ist unsere Herausforderung: Wir brauchen nicht den 100.000sten Flyer zum neuen Brot, sondern neue Ideen. Und zwar ganz einfache, bildhafte. Vielfalt reduzieren und mit wenig Worten bildhaft die Botschaft rüberbringen! Ganzenmüller: Die Zukunft wird auch Bewegtbild sein. Als Bäcker hat man tolle Möglichkeiten, mit Bildern zu arbeiten und kann diese in Sozialen Netzwerken super mit Geschichten umsetzen, vom „hier wächst“ bis zum Schluss, bis in die Filialen. Also: wenig Text, viele Bilder, am besten Bewegtbild. Das kommt in sozialen Netzwerken natürlich chic. von der Heide: Ich habe einen Kollegen, der extra nach Italien geflogen ist und seinen Haselnussbaum gepflanzt hat. So eine Geschichte kann man schön ausbauen. zu Münster: Und Bilder sind am Point of Sale auch wichtig: Darauf muss die Fachverkäuferin sofort anspringen, damit die hohen Kosten der Produktinnovation nicht vergeblich sind. Vom Verkäufer muss es konsequent promotet werden. Steins: Wie kommt man dahin? Ganzenmüller: Die Verkäuferin muss das Produkt selbst erlebt, sprich: probiert haben. Brenneis: Wenn die Qualität der Brote nicht stimmt, kann ich noch so viel Marketing machen. Urgetreide verbackt sich eben anders als normales Getreide. Dinkel erlebte in den 1980ern eine Renaissance und die Bäcker konnten noch nicht so richtig damit umgehen, nutzten keine Kochstücke etc. Heraus kam ein sprödes Gebäck. Da sagten die Kunden: „Ich hätte ja gerne Dinkel gehabt, aber das Brot ist zu krümelig“ – und die Nachfrage ist wieder gesunken. Heute erlebt Dinkel wieder eine Renaissance, die Bäcker haben sich weiterentwickelt. Doch nur ein Rezept gibt keine Gelinggarantie. Selbst wenn wir in der Bäcker-Nationalmannschaft ein Rezept ausprobieren, kommen dabei nicht selten fünf verschiedene Backwaren heraus. zu Münster: Selbst wenn die Qualität stimmt, bevor es ans Marketing geht, lässt sich das Produkt nicht so einfach verkaufen. Im Schulungsbereich ist es wichtig dafür zu sorgen, dass die Verkäuferinnen den Kunden intensiv beraten und auch verkosten lassen, um das Produkt entsprechend verkaufen zu können. Damit der ganze Aufwand sich lohnt. Überall ist die Reduzierung der Vielfalt wichtig, das ist der Kern des Ganzen. Brenneis: Das Erleben und Begeistern ist wesentlich. Wie kann man z.B. in Schulen Angebote entwickeln, um zu erklären, wie sich der Weg vom Feld zur Filiale ereignet? Dafür sind wir Bäcker prädestiniert. Ich habe schon viele Aktionen gemacht; als meine Kinder klein waren, bin ich mit ihnen in die Schule und hab mit ihnen das Mandelbrot gebacken. In der Weihnachtszeit führte ich einen Kinderstollen mit Dinkel in Kombination mit 50% Vollkorn ein, um mal herauszufinden, ob es den Kindern auch schmeckt. Natürlich in Kombination mit ein paar Vollmilch-Schokodrops. Dazu habe ich parallel ein Kasperle-Theaterstück geschrieben, bin in die Kindergärten rein und habe mein Stück aufgeführt: „Stolli und der Kinderstollen“. Die waren begeistert! Ganzenmüller: Da waren Sie Bäcker und Entertainer: Das ist gut, nicht zu kompliziert. Keine Fremdwörter, die keiner versteht. Steins: Kommt nicht auch der erwachsene Verbraucher hin und wieder in die Bäckerei und denkt sich: Ach du liebe Güte, jetzt hat er wieder drei neue Superfoods im Brot? Reizüberflutung, Consumer Confusion – wie behauptet man sich denn im Dschungel der Neuheiten? Ganzenmüller: Ganz ehrlich: Mit 20% der Produkte werden 80% des Umsatzes generiert. Daher ist auch der Mut gefragt, wieder zu reduzieren. Steins: Die „Brotpuristen“ bieten einige wenige Brote an, die werden dann oft ausverkauft. von der Heide: Aber auch tagesabhängig: Da steht dann ein Backplan an der Tür: Montags diese drei, dienstags diese drei … Brenneis: So extrem runter kommen wir gar nicht mehr, weil wir unser Sortiment – teils durch den Conveniencebereich – so aufgebauscht haben, das wir Schwierigkeiten haben, zu reduzieren. Ganzenmüller: Wichtig ist auch, die bäckertypische Sprechart zu berücksichtigen. Ich höre bei Brauern oft „Spontanvergärung“ oder bei den Bäckern „Sauerteigführung“. Das hört sich nach Qualität an, aber weiß der Verbraucher auch, was das ist? Vielleicht muss man mehr dran denken, dass der Verbraucher etwas Gutes haben möchte und das so einfach wie möglich. von der Heide: Komprimierung ist in manchen Bereichen schwierig. Der Sonntag ist unser stärkster Tag, denn durch den Tourismus ist sonntags traditionell Abreisetag. Die Touristen kommen ja wegen der ganzen Flyer und wegen des großen Sortiments zu uns. Deswegen wäre Reduzierung für uns der falsche Schritt. Ganzenmüller: Womit wir dann wieder bei „interpretieren statt kopieren“ wären … zu Münster: Es geht eben darum, ganz klar zu sagen: „Das sind wir!“ Und dabei gehe ich hier immer davon aus, dass wir von guter Backqualität sprechen. Danach kann man auch in die Vielfalt gehen. Und Herr von der von der Heide: Dieses Beispiel mit dem Nussbaum war doch gut. Könnten Sie sich denn das für sich vorstellen? Wäre das für Sie eine Art der „Kommunikation für Innovation“? von der Heide: Im Stollenbereich schon, beim Brot wird das schwierig, da Getreide nicht immer aus der Region stammt, wo das Brot verkauft wird. Deswegen macht es wenig Sinn, Hunderte Kilometer entfernt ein Schild aufzustellen und auf sein Produkt hinzuweisen. Dafür könnte man das in den Sozialen Medien besser umsetzen. Da müssen wir noch viel mehr machen. zu Münster: Aber eines ist klar: Es muss zum Betrieb passen. Die Kommunikation muss das betonen, was ihn individuell ausmacht. Ganzenmüller: Was für den einen der Haselnussbaum ist, ist für den anderen die Vielfalt. Es gibt also keine Universallösung. Brenneis: Jeder Einzelne muss für sich entscheiden, in welche Richtung er gehen möchte. Das muss er dann kommunizieren, und zwar transparent. Der Kunde muss wissen: Wenn ich zu meinem Bäcker gehe, dann verwendet er nur diese Rohstoffe. Seine Dinkelbrote vertrage ich und er hat nicht die 10% gesetzlich erlaubten Weizen untergeknetet, weil es bessere Gärstabilität hat. Vertrauen kann man auch gut durch Backkurse aufbauen. Die Kunden sind erfreut, einen geselligen Abend zu haben, bei dem sie viel über die Herstellung von Brot erfahren. Durch solche unterschiedlichen Aktionen kann der Bäcker viel erreichen. Steins: Abschließend hätte ich gerne eine Trendprognose: Was könnte das nächste größere „Ding“ in puncto Verbraucherverhalten, Produkt oder Rohstoff sein? Dazu fangen wir mit Ihnen an, Herr Balz. Sehen Sie die Internorga 2018 da gut aufgestellt oder nehmen Sie auch etwas mit? Balz: Ich muss mich erst einmal bei der Runde bedanken: Ich nehme sehr viel mit und werde bestimmt beim nächsten Gang in die Bäckerei einen anderen Blick auf vieles haben. Beim großen Thema „Trends“ hat die Internorga viel zu bieten – so in der Halle B6, wo das Bäcker- und Konditorenhandwerk zu finden ist und u.a. viele Produkte und Lösungen rund um die Trendthemen Snacks und Kaffee, aber auch neue Trends im Ladenbau präsentiert werden. Aber die Internorga steht auch für den Blick über den Tellerrand, sodass z.B. Bäcker auch von neuen Trends in der Gastronomie erfahren und davon profitieren können. Gruber: Ich kann mir gut vorstellen, dass es beim Brot so weitergeht, wie wir es in der Vergangenheit im Konsumverhalten beim Wein, beim Bier, beim Kaffee gesehen haben. Dass der Kunde genau wissen will, woher es kommt, wie es gemacht wird, wie es schmeckt, wer es gemacht hat, was dahinter steckt. Haben Menschen mehr Bezug zum Produkt, sind sie am Ende auch eher bereit, die 50 Cent mehr dafür auszugeben. Brenneis: Als „Urkornrevolutionär“ sage ich, dass Urkorn weiter ein Trend bleiben wird. Es wird sich weiter verbreiten, daran arbeite ich auch in den verschiedenen Akademien. Als Kapitän der Nationalmannschaft liegen mir die Kolleginnen und Kollegen und die Auszubildenden am Herzen. Deshalb habe ich 2017 in fast 80% der Akademien ein Urkorn-Seminar gegeben, damit die Kollegen erfahren, wie sie die Teige anmischen. Ich werde das 2018 fortsetzen und habe das mit einem Sozialaspekt gekoppelt, wobei ein schöner Spendenbetrag zusammengekommen ist. Ganzenmüller: Die Trendentwicklung in den Sozialen Netzwerken wird weitergehen. Deswegen mein Appell für 2018, das als Chance zu sehen. Blogger und andere, die im Netz unterwegs sind, nicht als Feinde zu sehen, sondern als Trendsetter und Meinungsbildende. Und ein ganz großer Wunsch: noch mehr netzwerken! Da, wo die Bäcker heute sind, waren die Brauer vor zehn Jahren. Auch ein bisschen mehr Zusammenarbeit mit Köchen wagen – ich bin überzeugt, das hat Zukunft. zu Münster: Vieles entsteht in der Gastronomie, und ich habe gelesen, dass die arabische Küche nun nach vorne kommen wird. Das würde ich als Händlerin von Lupinen toll finden. Hülsenfrüchte und Getreide passen in der Bäckerei prima zusammen! Was die Hülsenfrucht nicht hat, das hat das Getreide, und umgekehrt, z.B. die Aminosäure Lysin. Ganzenmüller: Das ist auch aus ernährungsphysiologischem Blickwinkel aufgrund der biologischen Wertigkeit sinnvoll. Brenneis: Und gewisse Rohstoffe haben auch teigtechnologische Vorteile. Wir haben viele Experimente mit Lupinen gemacht: Sie stabilisieren den Teig und verbessern die Gärstabilität. von der Heide: Ich glaube, dass Superfoods weiterhin eine Riesenrolle spielen und sich ausweiten werden auf Produkte, die jetzt noch gar nicht so bekannt sind. Wir als Handwerksbäcker und Brotsommeliers sollten unseren Schwerpunkt auf Kooperationen legen, etwa mit dem Brotinstitut. Auf dem Food-Festival „Eat & Style“ haben wir z.B. mit dem Deutschen Weininstitut zusammengearbeitet. Das war richtig gut, wir haben uns gegenseitig hochgepusht … Wenn wir daran anknüpfen und weiterhin Storytelling betreiben, dann glaube ich, dass das „Handcrafted“-Brot ganz nach vorne kommt. Steins: Vielen Dank in die Runde.
BÄKO aktuell

Runder Tisch zum Thema Ernährungstrends

Urgetreide und „Superfoods“ sind in aller Munde. Wie Ernährungstrends das Außer-Haus-Markt-Geschäft in der Backbranche verändern, war deshalb Thema eines Runden Tischs von BÄKO-magazin und Hamburg Messe und Congress (HMC) zur Internorga 2018.

Brenneis: Durch das Medieninteresse, Blogs und Anfragen wird die Branche sensibler. Deshalb ist der Bäcker von heute aufgeklärter und versucht darauf zu reagieren, indem er gewisse Zutaten nicht mehr nutzt und in Richtung „Clean Label“ geht.
Steins: Perspektivwechsel: Wenn ich als Kunde in ein Bäckereigeschäft gehe, sehe ich häufig Defizite in Kennzeichnung, Präsentation und optischer Umsetzung. Es ist z.B. schwierig, auf den ersten Blick zu erkennen, was vegetarisch ist. Wie viel Nachholbedarf gibt es in der Umsetzung?
von der Heide: Ein Großteil unserer Produkte ist vegetarisch/vegan, das haben wir auch in den Prospekten oder online stehen. Aber wenn im Laden überall steht „vegan/vegetarisch“, das wird doch alles ein bisschen viel, überfordert den Kunden. Er soll ja auch nachfragen, um mit der Verkäuferin ins Gespräch zu kommen. Das ist gewünscht, damit wir ggf. etwas anderes empfehlen können, was noch viel besser zu ihm passt.
zu Münster: Vielleicht ist es ja auch zu viel geworden: Vorher lautete die Reihenfolge Dinkel, Roggen usw., heute geht das nicht mehr, weil so viele Kategorien dazugekommen sind: mit Backhefe oder ohne, mit/ohne Backferment, mit/ohne Sauerteig, Vollkorn/Nichtvollkorn. Es gibt so viele Unterkategorien, die für den Kunden interessant sein könnten, dass es schwierig wird, Struktur in die Kennzeichnung hineinzubekommen.
Steins: Der Bäcker hat nun also ein neues Brot entwickelt, das auch im Snackbereich Anwendung finden soll, unter Einbeziehung eines Urgetreides oder Superfoods. Welches Know-how wird benötigt, um es dann auch in der Backstube „in Serie“ umzusetzen? Und wie vermarkte ich das Ganze dann?
von der Heide: Wenn wir einen neuen Rohstoff einbeziehen, müssen wir austesten, ausprobieren, und wenn dann das Produkt fertig kreiert ist, stricken wir das ganze Storytelling darum herum. Das ist das A und O, das muss der Kunde auch mitkriegen. Wenn das Produkt nur so daliegt, weiß er doch nicht, warum es jetzt 50 Cent teurer ist. Das kauft er doch ohne das Wissen so nicht!
Steins: Wie vermittelt man das? Arbeiten Sie mit Agenturen in dem Bereich?
Brenneis: Wir haben ein Hauptgeschäft und zwei Filialen und machen das noch selbstständig mit Hinweisen und Begleitzetteln. Wenn wir ein Produkt entwickeln, wähle ich die Zutaten zunächst nach der Saison aus. Im Winter also z.B. eher Nüsse, Mandeln und Gewürze. Dann beachte ich, welche Produkte schon im Sortiment sind, damit es keine Überschneidungen gibt. Wenn wir schon zu viel haben, muss ein Produkt „rausfliegen“ – egal, ob Kunde oder Verkäuferin todunglücklich sind. Aber auch das muss man richtig kommunizieren: „Das gibt es nicht mehr, weil der Bäcker das nicht mehr backen will“ wäre jedenfalls eine schlechte Idee. Wenn das neue Produkt kommt, sind Produktproben, Beschreibung der Inhaltsstoffe, Begleitzettel oder kostenlose Give-aways empfehlenswert. Zudem finde ich eine Jahreszeitenbäckerei nicht schlecht, mit wiederkehrenden Saisonbroten, die man regional anbietet und dann nach einiger Zeit wieder herausnimmt. Es muss aber vorher abgeklärt sein, wann es den „Zwiebelkuchen“ nicht mehr gibt, um Retouren zu vermeiden. Für Freigebackenes oder Kastenbrot brauchen wir entsprechende Rohstoffe. Einkornbrot kann ich z.B. nicht freibacken: Hier muss man sein ganzes Bäcker-Know-how mitbringen, damit das auch etwas wird. Wenn ich ein Kastenbrot habe, kann ich den Teig ganz weich halten. Drei, vier Backversuche muss man schon machen, bis man das Optimum findet. Wichtig ist auch, dass das Produkt sofort richtig kalkuliert wird, um damit auch Geld verdienen zu können – schlecht kalkulierte Produkte haben wir schließlich genug. Gerade in Sachen Urgetreide gleich richtig kalkulieren! Entweder es funktioniert mit dem richtigen Preis oder es funktioniert nicht. Und da können wir als Handwerksbäcker doch viel einfacher und schneller das Produkt wieder vom Markt nehmen. Es macht keinen Sinn, ein Produkt zu führen, bei dem man bei jeder Teigbereitung Geld drauflegt.
Steins: Diese besagten „50 Cent mehr“ muss man kommunizieren. Wie macht man das am besten?
Brenneis: Das sollte man transparent aufzeigen. Seitdem ich mich mit Urgetreide beschäftige, habe ich auch mein Verhalten geändert. Ich versuche das Ganze nachhaltiger zu betrachten, beschäftige mich seitdem auch mehr mit den Landwirten. Wer freiwillig Einkorn anbaut statt hochgezüchteten Weizen, dem muss man im Vorfeld schon sagen: „Wenn Du das für mich machst, bekommst Du den Preis, den Du dafür brauchst.“ Nicht den Preis im Vordergrund halten, sondern ein wenig mehr „Fairtrade“ denken, damit jeder etwas davon hat. Dann muss man dem Verbraucher kommunizieren, was das Risiko für den Landwirt ist, wenn er für Umwelteinflüsse sensibleres Urgetreide anbaut. Deswegen braucht der Landwirt seinen Preis, damit er es überhaupt anbauen kann. Das respektieren die Kunden auch und wertschätzen es.
Steins: Es läuft alles darauf hinaus, ein Premiumprodukt bzw. -konzept zu entwickeln, das auch entsprechend vermarktet werden möchte. Aber wie funktioniert denn in dem Bereich überhaupt gutes Storytelling?
von der Heide: Das fängt direkt auf dem Feld an. Man kann da ein Schild hinstellen mit dem Bäcker, wie er beim Einsäen hilft, oder: „Hier wächst Ihr Einkorn für das Produkt X der Bäckerei soundso!“
zu Münster: Das ist unsere Herausforderung: Wir brauchen nicht den 100.000sten Flyer zum neuen Brot, sondern neue Ideen. Und zwar ganz einfache, bildhafte. Vielfalt reduzieren und mit wenig Worten bildhaft die Botschaft rüberbringen!
Ganzenmüller: Die Zukunft wird auch Bewegtbild sein. Als Bäcker hat man tolle Möglichkeiten, mit Bildern zu arbeiten und kann diese in Sozialen Netzwerken super mit Geschichten umsetzen, vom „hier wächst“ bis zum Schluss, bis in die Filialen. Also: wenig Text, viele Bilder, am besten Bewegtbild. Das kommt in sozialen Netzwerken natürlich chic.
von der Heide: Ich habe einen Kollegen, der extra nach Italien geflogen ist und seinen Haselnussbaum gepflanzt hat. So eine Geschichte kann man schön ausbauen.
zu Münster: Und Bilder sind am Point of Sale auch wichtig: Darauf muss die Fachverkäuferin sofort anspringen, damit die hohen Kosten der Produktinnovation nicht vergeblich sind. Vom Verkäufer muss es konsequent promotet werden.
Steins: Wie kommt man dahin?
Ganzenmüller: Die Verkäuferin muss das Produkt selbst erlebt, sprich: probiert haben.
Brenneis: Wenn die Qualität der Brote nicht stimmt, kann ich noch so viel Marketing machen. Urgetreide verbackt sich eben anders als normales Getreide. Dinkel erlebte in den 1980ern eine Renaissance und die Bäcker konnten noch nicht so richtig damit umgehen, nutzten keine Kochstücke etc. Heraus kam ein sprödes Gebäck. Da sagten die Kunden: „Ich hätte ja gerne Dinkel gehabt, aber das Brot ist zu krümelig“ – und die Nachfrage ist wieder gesunken. Heute erlebt Dinkel wieder eine Renaissance, die Bäcker haben sich weiterentwickelt. Doch nur ein Rezept gibt keine Gelinggarantie. Selbst wenn wir in der Bäcker-Nationalmannschaft ein Rezept ausprobieren, kommen dabei nicht selten fünf verschiedene Backwaren heraus.
zu Münster: Selbst wenn die Qualität stimmt, bevor es ans Marketing geht, lässt sich das Produkt nicht so einfach verkaufen. Im Schulungsbereich ist es wichtig dafür zu sorgen, dass die Verkäuferinnen den Kunden intensiv beraten und auch verkosten lassen, um das Produkt entsprechend verkaufen zu können. Damit der ganze Aufwand sich lohnt. Überall ist die Reduzierung der Vielfalt wichtig, das ist der Kern des Ganzen.
Brenneis: Das Erleben und Begeistern ist wesentlich. Wie kann man z.B. in Schulen Angebote entwickeln, um zu erklären, wie sich der Weg vom Feld zur Filiale ereignet? Dafür sind wir Bäcker prädestiniert. Ich habe schon viele Aktionen gemacht; als meine Kinder klein waren, bin ich mit ihnen in die Schule und hab mit ihnen das Mandelbrot gebacken. In der Weihnachtszeit führte ich einen Kinderstollen mit Dinkel in Kombination mit 50% Vollkorn ein, um mal herauszufinden, ob es den Kindern auch schmeckt. Natürlich in Kombination mit ein paar Vollmilch-Schokodrops. Dazu habe ich parallel ein Kasperle-Theaterstück geschrieben, bin in die Kindergärten rein und habe mein Stück aufgeführt: „Stolli und der Kinderstollen“. Die waren begeistert!
Ganzenmüller: Da waren Sie Bäcker und Entertainer: Das ist gut, nicht zu kompliziert. Keine Fremdwörter, die keiner versteht.
Steins: Kommt nicht auch der erwachsene Verbraucher hin und wieder in die Bäckerei und denkt sich: Ach du liebe Güte, jetzt hat er wieder drei neue Superfoods im Brot? Reizüberflutung, Consumer Confusion – wie behauptet man sich denn im Dschungel der Neuheiten?
Ganzenmüller: Ganz ehrlich: Mit 20% der Produkte werden 80% des Umsatzes generiert. Daher ist auch der Mut gefragt, wieder zu reduzieren.
Steins: Die „Brotpuristen“ bieten einige wenige Brote an, die werden dann oft ausverkauft.
von der Heide: Aber auch tagesabhängig: Da steht dann ein Backplan an der Tür: Montags diese drei, dienstags diese drei …
Brenneis: So extrem runter kommen wir gar nicht mehr, weil wir unser Sortiment – teils durch den Conveniencebereich – so aufgebauscht haben, das wir Schwierigkeiten haben, zu reduzieren.
Ganzenmüller: Wichtig ist auch, die bäckertypische Sprechart zu berücksichtigen. Ich höre bei Brauern oft „Spontanvergärung“ oder bei den Bäckern „Sauerteigführung“. Das hört sich nach Qualität an, aber weiß der Verbraucher auch, was das ist? Vielleicht muss man mehr dran denken, dass der Verbraucher etwas Gutes haben möchte und das so einfach wie möglich.
von der Heide: Komprimierung ist in manchen Bereichen schwierig. Der Sonntag ist unser stärkster Tag, denn durch den Tourismus ist sonntags traditionell Abreisetag. Die Touristen kommen ja wegen der ganzen Flyer und wegen des großen Sortiments zu uns. Deswegen wäre Reduzierung für uns der falsche Schritt.
Ganzenmüller: Womit wir dann wieder bei „interpretieren statt kopieren“ wären …
zu Münster: Es geht eben darum, ganz klar zu sagen: „Das sind wir!“ Und dabei gehe ich hier immer davon aus, dass wir von guter Backqualität sprechen. Danach kann man auch in die Vielfalt gehen. Und Herr von der von der Heide: Dieses Beispiel mit dem Nussbaum war doch gut. Könnten Sie sich denn das für sich vorstellen? Wäre das für Sie eine Art der „Kommunikation für Innovation“?
von der Heide: Im Stollenbereich schon, beim Brot wird das schwierig, da Getreide nicht immer aus der Region stammt, wo das Brot verkauft wird. Deswegen macht es wenig Sinn, Hunderte Kilometer entfernt ein Schild aufzustellen und auf sein Produkt hinzuweisen. Dafür könnte man das in den Sozialen Medien besser umsetzen. Da müssen wir noch viel mehr machen.
zu Münster: Aber eines ist klar: Es muss zum Betrieb passen. Die Kommunikation muss das betonen, was ihn individuell ausmacht.
Ganzenmüller: Was für den einen der Haselnussbaum ist, ist für den anderen die Vielfalt. Es gibt also keine Universallösung.
Brenneis: Jeder Einzelne muss für sich entscheiden, in welche Richtung er gehen möchte. Das muss er dann kommunizieren, und zwar transparent. Der Kunde muss wissen: Wenn ich zu meinem Bäcker gehe, dann verwendet er nur diese Rohstoffe. Seine Dinkelbrote vertrage ich und er hat nicht die 10% gesetzlich erlaubten Weizen untergeknetet, weil es bessere Gärstabilität hat. Vertrauen kann man auch gut durch Backkurse aufbauen. Die Kunden sind erfreut, einen geselligen Abend zu haben, bei dem sie viel über die Herstellung von Brot erfahren. Durch solche unterschiedlichen Aktionen kann der Bäcker viel erreichen.
Steins: Abschließend hätte ich gerne eine Trendprognose: Was könnte das nächste größere „Ding“ in puncto Verbraucherverhalten, Produkt oder Rohstoff sein? Dazu fangen wir mit Ihnen an, Herr Balz. Sehen Sie die Internorga 2018 da gut aufgestellt oder nehmen Sie auch etwas mit?
Balz: Ich muss mich erst einmal bei der Runde bedanken: Ich nehme sehr viel mit und werde bestimmt beim nächsten Gang in die Bäckerei einen anderen Blick auf vieles haben. Beim großen Thema „Trends“ hat die Internorga viel zu bieten – so in der Halle B6, wo das Bäcker- und Konditorenhandwerk zu finden ist und u.a. viele Produkte und Lösungen rund um die Trendthemen Snacks und Kaffee, aber auch neue Trends im Ladenbau präsentiert werden. Aber die Internorga steht auch für den Blick über den Tellerrand, sodass z.B. Bäcker auch von neuen Trends in der Gastronomie erfahren und davon profitieren können.
Gruber: Ich kann mir gut vorstellen, dass es beim Brot so weitergeht, wie wir es in der Vergangenheit im Konsumverhalten beim Wein, beim Bier, beim Kaffee gesehen haben. Dass der Kunde genau wissen will, woher es kommt, wie es gemacht wird, wie es schmeckt, wer es gemacht hat, was dahinter steckt. Haben Menschen mehr Bezug zum Produkt, sind sie am Ende auch eher bereit, die 50 Cent mehr dafür auszugeben.
Brenneis: Als „Urkornrevolutionär“ sage ich, dass Urkorn weiter ein Trend bleiben wird. Es wird sich weiter verbreiten, daran arbeite ich auch in den verschiedenen Akademien. Als Kapitän der Nationalmannschaft liegen mir die Kolleginnen und Kollegen und die Auszubildenden am Herzen. Deshalb habe ich 2017 in fast 80% der Akademien ein Urkorn-Seminar gegeben, damit die Kollegen erfahren, wie sie die Teige anmischen. Ich werde das 2018 fortsetzen und habe das mit einem Sozialaspekt gekoppelt, wobei ein schöner Spendenbetrag zusammengekommen ist.
Ganzenmüller: Die Trendentwicklung in den Sozialen Netzwerken wird weitergehen. Deswegen mein Appell für 2018, das als Chance zu sehen. Blogger und andere, die im Netz unterwegs sind, nicht als Feinde zu sehen, sondern als Trendsetter und Meinungsbildende. Und ein ganz großer Wunsch: noch mehr netzwerken! Da, wo die Bäcker heute sind, waren die Brauer vor zehn Jahren. Auch ein bisschen mehr Zusammenarbeit mit Köchen wagen – ich bin überzeugt, das hat Zukunft.
zu Münster: Vieles entsteht in der Gastronomie, und ich habe gelesen, dass die arabische Küche nun nach vorne kommen wird. Das würde ich als Händlerin von Lupinen toll finden. Hülsenfrüchte und Getreide passen in der Bäckerei prima zusammen! Was die Hülsenfrucht nicht hat, das hat das Getreide, und umgekehrt, z.B. die Aminosäure Lysin.
Ganzenmüller: Das ist auch aus ernährungsphysiologischem Blickwinkel aufgrund der biologischen Wertigkeit sinnvoll.
Brenneis: Und gewisse Rohstoffe haben auch teigtechnologische Vorteile. Wir haben viele Experimente mit Lupinen gemacht: Sie stabilisieren den Teig und verbessern die Gärstabilität.
von der Heide: Ich glaube, dass Superfoods weiterhin eine Riesenrolle spielen und sich ausweiten werden auf Produkte, die jetzt noch gar nicht so bekannt sind. Wir als Handwerksbäcker und Brotsommeliers sollten unseren Schwerpunkt auf Kooperationen legen, etwa mit dem Brotinstitut. Auf dem Food-Festival „Eat & Style“ haben wir z.B. mit dem Deutschen Weininstitut zusammengearbeitet. Das war richtig gut, wir haben uns gegenseitig hochgepusht … Wenn wir daran anknüpfen und weiterhin Storytelling betreiben, dann glaube ich, dass das „Handcrafted“-Brot ganz nach vorne kommt.
Steins: Vielen Dank in die Runde.

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