Das digitale Zeitalter macht Veränderungen schneller und Entwicklungen komplexer – trotz jederzeitiger Erreichbarkeit und Informationsverfügbarkeit. Trends wie Automatisierung und die hohe Veränderungs- und Innovationsgeschwindigkeit an den Märkten sowie die veränderten Unternehmenskulturen erfordern hohe Aufmerksamkeit. Rund 100 Teilnehmer/innen, im Kern der Arbeitskreis Rohstoffe der BÄKO-Organisation, kamen daher im Steigenberger Hotel am Berliner Flughafen zusammen, um sich über neueste Entwicklungen auf dem Rohstoffsektor zu informieren, dem Fortgang des Themas Nachhaltigkeit nachzuspüren und mit spannenden Referaten von externen Fachleuten über den sprichwörtlichen Tellerrand zu sehen.
Den Auftakt machte am Vorabend der Veranstaltung CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, der am Tag der Verkündigung des Koalitionsvertrags im Bundestag den Finger in die Wunden legte und dabei auch die eigene Partei nicht schonte. Mit Schlagfertigkeit und Witz knöpfte er sich die neue Schuldenpolitik und den Mangel an Entscheidungsfähigkeit in wichtigen Fragen vor. Sein Credo: Deutschland muss schneller, besser und effektiver werden, um die großen anstehenden Aufgaben bei Rente, Pflege, Bildung und Sanierung der Infrastruktur zu bewältigen und sich international nicht abhängen zu lassen. Angesichts der Entwicklung der amerikanischen Politik und des Ukraine-Kriegs setzt Bosbach auf ein enges Zusammenrücken der Europäer.
Höchstmögliche Sicherheit
IREKS-Geschäftsführer Stefan Soiné ging es in seiner Präsentation um eine Standortbestimmung von rational definierter Lebensmittelsicherheit in Relation zu meist emotional geprägten Verbrauchererwartungen an die Lebensmittelbranche. Beidem gerecht zu werden, sei ein Spagat, den IREKS gemeinsam mit der BÄKO schaffen will, um die gemeinsamen Bäckerkunden zu schützen: durch sorgfältige Kontrollen auf allen Stufen der Rohstoffgewinnung und -verarbeitung. Das sei deshalb so wichtig, weil bei jeglichem Problem mit den in Verkehr gebrachten Broten und Backwaren zunächst der Bäcker haftbar ist. Das Kulmbacher Traditionsunternehmen, dessen 5. Familiengeneration Soiné repräsentiert, hat sein „IQ-Zentrum“ für die Forschung, Entwicklung und Anwendungsberatung mit 300 Mitarbeitern weiter ausgebaut, um mithilfe von wissenschaftlichen Analyseverfahren die angebotenen Backzutaten so sicher wie nur irgend möglich zu machen. Zusammen mit dem eigenen Vertragsanbau von Getreide gewährleistet IREKS, dass die Lieferkette „bis ganz nach hinten“ verfolgt werden kann und Risiken, etwa durch Verunreinigung mit Mikroorganismen (z.B. Schimmelpilze) oder Schadstoffen wie Alkaloiden („Mutterkorn“), minimiert werden. Ebenso geht es aber darum, menschliches Versagen oder kriminelle Energie (z.B. das Strecken von Dinkelmehl mit Weizen) frühzeitig zu erkennen und allergene Stoffe im Auge zu behalten. Tritt doch einmal ein Problem auf, kann chargengenau geprüft werden, ob das verwendete Mehl dabei eine Rolle gespielt hat. „Sicherheit kann nur geben, wer sich selbst sicher ist“, lautet Soinés Versprechen an die IREKS-Kunden.
Kakaomarkt unter Druck
Den „volatilen und dynamischen“, derzeit sehr schwierigen Markt für Kakao bzw. Schokoladen erläuterten kenntnisreich Bob Goldman (Senior Sales Manager Cacao in der DACH-Region) und Felix Koch (Sales Director für den handwerklichen Vertrieb in Deutschland und Österreich) von Barry Callebaut. Um die Ende des Jahres 2023 entstandenen extremen Preissteigerungen für Kakao zu verstehen, muss man die Marktmechanismen kennen. Goldman und Koch skizzierten die Bedingungen in den wichtigsten Anbauländern (vor allem in Westafrika), schilderten den Handel mit dem Rohstoff an den Terminmärkten in London und New York und benannten das Problem der Börsenspekulation. Alles hänge vom Wetter ab und dabei gibt es zunehmend Probleme: Extreme Trockenheit und Stürme (El Niño) prägten hier zuletzt das Bild. Nach mehreren schlechten Erntejahren (2023/24: –11%) sind die Lager auch der großen Verarbeiter nahezu leer und die hohe Nachfrage treibt die Preise in ungekannte Höhen. Die Entwaldungsverordnung der Europäischen Union stellt die Hersteller von Kakaobutter und -pulver zusätzlich vor erhebliche Dokumentationsaufgaben und Verpflichtungen zur Konformitätsbestätigung. Der Weltmarktführer Barry Callebaut hat auf diese Entwicklungen früh regiert und seine Strategie „Forever Chocolate“ eingeleitet. Damit werden Armut und Kinderarbeit in den Produktionsländern bekämpft, Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes umgesetzt und die Verwendung nachhaltig erzeugter Zutaten gefördert. Neue Produkte und eine fokussierte Produktauswahl für die Anwender geben dem Markt Sicherheit und setzen kreative Impulse.
Qualität aus Südtirol
Ihr Familienunternehmen, seine Qualitätsphilosophie und das Produktportfolio stellten in Berlin die Eigentümer Peter und Philip Theiner vor. Die Fructus Meran AG wurde 1947 gegründet und steht auf den drei Säulen Obthandel, Obstversteigerung und Obstverarbeitung. Im Mittelpunkt steht dabei der Apfel und der jahrzehntelange BÄKO-Partner hat sich bei stückigen Halbfabrikaten auf Apfelbasis die Marktführerschaft erkämpft. Den Einflüssen von Klimawandel und veränderten Konsumgewohnheiten stellen die Theiners ein diversifiziertes Sortiment und gemeinsam mit Partnern ein umfassendes Südtiroler Nachhaltigkeitsprogramm entgegen. Letzteres umfasst u.a. substanzielle Investitionen in Photovoltaik, Wassermanagement und Biodiversität. Mit dem Projekt „Natur 21“ stellt sich Fructus Meran aktuell hinsichtlich Logistik, Technik und auch als sozial kompetenter Arbeitgeber komplett neu auf, um sich für die Zukunft zu wappnen. Für Foodtrends wie die flexitarische, personalisierte bzw. nachhaltige Ernährung und das Snacking sieht man sich – auch dank neuer Entwicklungen von Fruchtpürees und Quetschbeuteln – gut aufgestellt.
Was „Premium“ ausmacht
Auch Wolf ButterBack aus Fürth ist bereits seit der Unternehmensgründung 1991 ein zuverlässiger BÄKO-Partner – in diesem Fall für Premium-Produkte aus dem Bereich Tiefkühl-Backwaren. Geschäftsleitungsmitglied Dr. Björn Kahler stellte auf dem Rohstoff- und Innovationstag vor, wie trotz modernster Anlagentechnik hoher Personaleinsatz, lange Teigruhen und handwerkliches Finishing die Arbeit in der Produktion prägen, um den Ansprüchen der Bäckerkunden gerecht werden zu können. Ständige Trendbeobachtung und Analyse der Verbrauchererwartungen prägen das aktuell rund 250 Produkte umfassende Sortiment. Das Unternehmen trägt seine wichtigste Zutat bereits im Namen und will darauf auch weiter setzen. Die natürliche (Wetter), durch Kriegseinflüsse erzwungene, qualitative (Milchqualität) und spekulative Rohstoffverknappung macht aber auch Wolf ButterBack zu schaffen. Aufgrund dieser Marktentwicklungen und der veränderten Verbrauchernachfrage hat das Unternehmen daher auch Alternativen im Fokus, um u.a. auch den veganen Markt bedienen zu können; schon jetzt sind elf der 20 verkaufsstärksten Produkte ohnehin vegetarisch. Kahler sieht vor allem durch die vorteilhafte Entwicklung am Außer-Haus-Markt für Bäcker sehr gute Erfolgschancen, sich mit auf die jeweiligen Standorte zugeschnittene Produkte weiter zu profilieren, wobei guter Geschmack und Nährwertanfordungen keine Gegensätze sein dürften. Qualität bleibe oberstes Prinzip, aber daneben stehe bei Wolf ButterBack immer auch das einfache Handling bei den Bäckerkunden im Mittelpunkt, um „die Komplexität in den Filialen zu reduzieren“.
Spannende Einblicke
BÄKO-Veranstaltungen zeichnen sich immer auch durch kompetente und teils prominente Vortragende aus, die der Backbranche tiefe Einblicke in ihre Fachbereiche gewähren und so das Wissensspektrum noch breiter gestalten. Auf dem diesjährigen BÄKO-Rohstoff- und Innovationstag waren dies der Flugkapitän und Risikomanagementexperte Manfred Müller sowie der Meteorologe, TV-Moderator und Buchautor Sven Plöger.Geboten wurde somit viel Stoff zum Nachdenken, viel wichtiger Input zum Verständnis der Märkte, aber auch eine tolle Bühne für den Austausch der Teilnehmenden und engagiertes Netzwerken. Jean-Pierre Nachtsheim, Geschäftsführer der BÄKO-ZENTRALE, bedankte sich abschließend beim Team Rohstoffe und Organisatorin Lara Tillmann. Die Teilnehmer/innen rief er dazu auf, auch künftig angstfrei und offen zu sein für Veränderungen, sich darauf einzulassen und wo immer möglich Barrieren abzubauen.